29. April 2024

Mann, das war knapp. Gerade einmal ein paar Brettpunkte trennen uns nach der Schlussrunde der Oberliga Ost von einem (wahrscheinlichen) Abstiegsplatz: 

Das mit dem Abstieg ist noch etwas unklar, am Wochenende wusste niemand genau, ob es zwei oder drei Absteiger gibt. Aber uns kann es egal sein, wir sind raus aus der Verlosung. Gerettet hat uns ein konzentrierter Auftritt am Samstag gegen die Mannschaft aus Eppstein. 6:2 heißt es am Schluss: 

Wir haben allerdings auch das Glück, dass es für Eppstein um gar nichts mehr geht und sie darum „ohne sechs“ spielen, will sagen, alle ihre ausländischen Legionäre zuhause lassen. Zudem fehlt Brett 1 aus familiären Gründen und so hat Vitaly Kunin einen kurzen Arbeitstag. Und Christian Böhmer steht schon nach 15 Zügen mehr oder weniger auf Gewinn. Im Morra-Gambit opfert er früh einen Bauern, erhält dafür aber die totale Blockadestellung; Schwarz kann kaum eine Figur ziehen und muss zusehen, wie er von Weiß zurechtgelegt wird, bis irgendwann eine Springergabel die einseitige Angelegenheit beendet. Für Christian nach einer katastrophalen Saison eine kleine Genugtuung. 

Ebenso einseitig verläuft die Parte von Sergey Galdunts an Brett 2. In einem Lb5-Sizilianer zeigt er modellhaft, wie man dem Gegner erst einen rückständigen Bauern verpasst, diesen dann belagert und schließlich erobert, wonach erfreulicherweise auch gleich der ganze Damenflügel von Schwarz kollabiert. 3-0 und selbst bei den größten Pessimisten im Team sinkt langsam der Blutdruck. 

Ja, und dann gibt es noch den ewigen Paulus. Unser einziger Überperformer dieser Saison (von Vitaly einmal abgesehen, aber der spielt ja irgendwie „außer Konkurrenz“) zwingt Schwarz im Grünfeld-Inder in eine Bauchlagestellung. Ein weißer Freibauer auf d5 muss die ganze Zeit akribisch bewacht werden und als Schwarz – von der ständigen Verteidigungsarbeit ermüdet – einen Befreiungsversuch unternimmt, verliert er durch ein einfaches taktisches Motiv eine Figur. Streng vorgetragen! 

Ansonsten sind noch vier remis zu vermelden. Ich lande im c3-Sizilianer in einer Variante, in der schnell viel getauscht wird und ich dann in einem Endspiel ohne ernsthafte Gewinnchancen lande. Bei Michael Wrede und Carsten Kreiling läuft es ähnlich, ein ödes Turmendspiel lädt nicht zum Weiterspielen ein. Peter Dittmar spielt eigentlich eine starke Partie und gewinnt eine Figur für zwei Bauern. Die Stellung ist allerdings noch fummelig. Peter wickelt daher unter Rückgabe der Figur in ein Endspiel mit Mehrbauern ab, welches viel besser aussieht als es dann tatsächlich ist – doofes Remis am Ende eines langen Arbeitstages. 

Unser einziges Sorgenkind ist Heiko, der es mit seinem begrüßenswerten Ansatz „ich will immer gewinnen“ etwas übertreibt und ersatzlos einen Bauern einbüßt, aber danach wird er zäh und schafft nach rund 7 Stunden doch noch ein Remis. 

So klingt der Abend dann gemütlich in einer Gernsheimer Pizzeria aus. Allerdings wird die gute Stimmung durch die Nachricht getrübt, dass Schöneck – unser Mitkonkurrent um Platz 9 – seinen Kampf ebenfalls gewonnen hat und damit wie wir bei 6 Mannschaftspunkten steht. Und wir haben am Sonntag das Duell gegen Wiesbaden vor der Brust, die mit einem Sieg den Aufstieg klarmachen können. Schöneck wiederum spielt gegen Oberursel, die nominell deutlich stärker sind als die Schönecker, aber was heißt das schon in der letzten Runde, wenn es um die Wurst geht… 

Damit wird der Sonntag dann eine Achterbahnfahrt der Gefühle. Denn wir schaffen es nicht, gegen Wiesbaden zu punkten, sondern ziehen gegen einen – nominell klar überlegenen – Gegner durchaus unglücklich mit 3,5 : 4,5 den kürzeren. Aber gleichzeitig lässt Oberursel im Duell gegen Schöneck nichts schleifen und so sind wir am Schluss mit einem dicken blauen Auge davongekommen…

Der Wettkampf beginnt damit, dass nach kaum 10 Minuten Heiko zu mir kommt und fragt, ob er das Remisangebot seines Gegners annehmen soll. Was ich bejahe – schließlich hat Heiko am Samstag sehr lange gespielt. Aber im Nachhinein denke ich, vielleicht war es doch keine kluge Entscheidung… hätte, hätte, Fahrradkette. Wir haben auch so unsere Chancen. 

Die größte lasse wohl ich aus: 

Ansonsten verläuft der Kampf ziemlich lange ziemlich offen. Peter Dittmar gleicht mit Schwarz schnell aus und forciert dann eine Zugwiederholung zum Remis. Vitaly spielt gegen das Wiesbadener „Wunderkind“, den erst 12(oder13?)jährigen FM Christian Glöckler, mit Weiß eine ungewöhnliche Eröffnung (1. e4 c5 2. Sf3 d6 3. d4 cd4: 4. Dd4: Sc6 5. De3) und bringt seinen Gegner damit früh aus dem Konzept, worauf Schwarz eine ziemlich perspektivlose Stellung erhält. Im Bemühen um Gegenspiel opfert Schwarz eine Qualität, erhält jedoch nur unzureichende Kompensation und seinen Vorteil verwertet Vitaly mit chirurgischer Präzision. Start-Ziel-Sieg!

Nebenan läuft es weniger gut. Sergey hat gegen GM Khenkin Grünfeld ausgepackt, kommt aber mit der Stellung nicht gut klar und sieht sich bald einem massiven weißen Königsangriff ausgesetzt. In hoffnungsloser Stellung muss Sergey die Segel streichen. 

Christian gerät im angenommenen Damengambit gegen den starken FM Dubkov durch eine Ungenauigkeit in der Eröffnung früh unter Druck und büßt dann einen Bauern ein. Trotz verbissener Gegenwehr ist das entstehende Endspiel leider nicht zu halten.

Auch Michael Wrede muss anerkennen, dass sein Gegner, IM Upadhyaya Anwesh, an diesem Tag eine Nummer zu groß ist. Während der weiße „Angriff“ am Damenflügel nie in die Gänge kommt, baut Schwarz am Königsflügel einen massive Angriffsstellung auf und setzt am Schluss hässlich Matt. Ok, auch für Michael war es bedingt durch hohe berufliche Belastung eine schwierige Saison. 

Einen versöhnlichen Schlusspunkt setzt dann – wie könnte es anders sein – Paulus. Gegen Bruna Geske steht er lange gedrückt, opfert dann aber eine Qualität für Fummelchancen und nutzt dann die Zeitknappheit seiner Gegnerin geschickt aus – kurz vor dem 40. Zug stellt er mit Läufer und Dame hässliche Mattdrohungen auf und Weiß gelingt es bei ablaufender Zeit nicht mehr, den König in Sicherheit zu bringen. Sieg und eine Top-Performance von 6,5 aus 9! Wow…

Zu diesem Zeitpunkt ist bei der Mannschaft schon Entspannung zu spüren, denn dank der Segnungen des Internets wissen wir, dass Oberursel gegen Schöneck gewinnt und uns damit nichts mehr passieren kann. Trotz der Niederlage können wir den Nachmittag also in Gernsheim bei einem Eis gut gelaunt ausklingen lassen…

Betrachtet man mit einem Moment Abstand diese Saison, dann muss man allerdings sagen, dass wir uns richtig Gedanken machen müssen. Die nächste Saison wird vorhersehbar schwierig. Außer „Mr. Zuverlässig“ Vitaly und einem „im Alter werde ich bissig“ Paulus sowie mit Abstrichen meiner Wenigkeit hat die gesamte Mannschaft weit unter Niveau gespielt: 

Und die nächste Saison wird nicht leichter. Gespielt wird – als Übergangssaison vor der Vereinigung der drei Landesverbände Hessen, Rheinland-Pfalz und Saarland zu einer einheitlichen Oberliga Südwest – eine „rein hessische“ Oberliga. Da spielen wir im Prinzip nur gegen Mannschaften, die in dieser Saison vor uns gelandet sind. Das wird ein hartes Brett für uns, die wir alle nicht gerade die jüngsten sind. Junges Blut täte uns gut…

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1 thought on “Dem Teufel von der Schippe gesprungen – Freibauern halten gerade so die Klasse! 

  1. Ich war sehr beeindruckt von der Wiesbadener Aufstellung, da hat sich wirklich eine starke Truppe gefunden. Das Igor Khenkin an Brett 2 spielt, macht die Mannschaft noch gefährlicher. Fasziniert bin ich von Christian Glöckner. In diesem Alter diese Spielstärke, fordert meine höchsten Respekt und keinerlei Neid ab. Ich hoffe, dass die Verantwortlichen um dieses einmalige Talent, die nötige Balance für Christian finden und ihn behutsam weiterentwickeln. Ich drücke den Wiesbadenern alle Daumen. Sie haben verdient die eine starke Oberliga-Ost gewonnen und sich auch im vorletzten Spiel nicht von der „Mannschaft der Stunde“ Gernsheim beeindrucken lassen. Gernsheim war natürlich auch eine Bereicherung für die Klasse!

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